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Bei renitenter Kontaktverweigerung müssen die Rahmenbedingungen optimiert werden, wenn Betreuungsbedarf besteht

An der Erforderlichkeit einer Betreuung kann es im Einzelfall fehlen, wenn der Betroffene jeden Kontakt mit seinem Betreuer verweigert und der Betreuer dadurch handlungsunfähig ist, also eine Unbetreubarkeit vorliegt. Bei der Annahme einer solchen Unbetreubarkeit ist allerdings Zurückhaltung geboten, denn bei einer Aufhebung der Betreuung bleibt der Betroffene schutzlos. (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.1.2019, Az. XII ZB 397/18)

Das ist passiert:

Ein 52-jähriger Mann litt an einer bipolaren affektiven Störung Bereits 2004 wurde für ihn aus diesem Grund ein gesetzlicher Betreuer für mehrere Angelegenheiten bestellt. Ebenso war die Ehefrau als ehrenamtliche Betreuerin für einige Aufgabenkreise tätig. Bis zum Jahr 2014 verliefen diese Betreuungen ohne aktenkundige Probleme. Die Ehe wurde zwischenzeitlich geschieden und 2014 zog der Betroffene aus.


Am neuen Wohnort hatte er unterschiedliche Betreuer (Verwandte oder Berufsbetreuer) mit unterschiedlichen Wirkungskreisen. Letzten Endes verweigerte er sich aber den gesetzlichen Betreuern. Seine Verwandten waren ebenfalls nicht mehr in der Lage ihn zu betreuen.
Es kam zu verschiedenen Verfahren vor dem Betreuungsgericht und dem Landgericht. In dem Verfahren vor dem Landgericht stellte sich die Frage, ob zum einen überhaupt Handlungsbedarf für die Anordnung einer Betreuung bestehe, und zum anderen, ob nicht sogar eine Unbetreubarkeit gegeben sei. Am Ende entschied das Landgericht, dass kein Betreuungsbedarf gegeben sei und nahm eine Unbetreubarkeit des betroffenen Mannes an. Der wehrte sich nun gegen die Entscheidung vor dem Bundesgerichtshof, der die Entscheidung des Landgerichts aufhob.

Darum geht es:

Es geht um die Entscheidung darüber, wann eine Betreuung erforderlich ist und, wann ein Betreuungsbedarf besteht.

Die Entscheidung:

Laut Bundesgerichtshof ist bei beiden Fragestellungen die konkrete, gegenwärtige Lebenssituation des Betroffenen zu berücksichtigen.


Der Feststellung des Landgerichts, dass der Betreuungsbedarf aufgrund der konkreten gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen nicht mehr festzustellen sei, tritt der Bundesgerichtshof entgegen. Für welche Aufgabenkreise ein Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der aktuellen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann. Der Bundesgerichtshof sah sich die verschiedenen Aufgabenkreise bei einer gesetzlichen Betreuung genau an. Zur Vermögenssituation stellte es fest, dass der Betroffene erheblich überschuldet ist und deshalb der Bedarf einer Schuldenregulierung, gegebenenfalls im Rahmen eines Verbraucherinsolvenzverfahrens besteht. Soweit der Betroffene zur Einleitung und Durchführung der notwendigen Entschuldungsmaßnahmen krankheitsbedingt nicht selbst in der Lage ist, bedarf es bereits deswegen der gesetzlichen Betreuung.


Ebenso erkennt der Bundesgerichtshof einen Betreuungsbedarf in behördlichen Angelegenheiten. Der Betroffene hatte die zuständigen Stellen gebeten, die Zahlung der Erwerbsminderungsrente mit der Begründung einzustellen, er sei voll erwerbsfähig, obwohl es an dieser Voraussetzung bei ihm krankheitsbedingt offensichtlich fehlte. Infolgedessen lebt der Betroffene inzwischen von Leistungen nach dem 2. oder 11. Sozialgesetzbuch (SGB II oder SGB XII). Diese Leistungen sind ihm, worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist, nach dem Akteninhalt bereits einmal wegen fehlender Mitwirkung entzogenen worden. Danach liegt auch insoweit ein bestehender Betreuungsbedarf auf der Hand.


Ebenso hat das Landgericht eine Unbetreubarkeit zu Unrecht angenommen, so der Bundesgerichtshof. Der Bundesgerichtshof stellt zur Beurteilung einer Unbetreubarkeit ganz auf den Einzelfall ab und sagt ausdrücklich, dass bei der Annahme einer Unbetreubarkeit Zurückhaltung geboten ist. Es kann sein, dass eine Unbetreubarkeit vorliegt, wenn der Betroffene jeden Kontakt mit dem Betreuer verweigert und der Betreuer seine Aufgaben deshalb nicht wirksam wahrnehmen kann. Objektiv besteht in diesem Fall jedoch ein Betreuungsbedarf. Es ist deshalb bei fehlender Kooperationsbereitschaft des Betroffenen entscheidend, ob durch die Betreuung eine Verbesserung der Situation des Betroffenen erreicht werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit ein Betreuer durch rechtliche Entscheidungen einen für den Betroffenen positiven Einfluss nehmen könnte. Genau dazu vermisst der Bundesgerichtshof Ausführungen des Landgerichts.
Es ist die Aufgabe des Betreuungsgerichts, auch bei schwierigen Persönlichkeitsstrukturen geeignete Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche rechtliche Betreuung zu schaffen. Deshalb muss das Betreuungsgericht bei der Betreuerauswahl darauf achten, dass für Betroffene mit schwieriger Persönlichkeit ein Betreuer bestellt wird, der dieser Herausforderung mit Sachkunde und Erfahrung begegnen kann. Gegebenenfalls ist auch ein Betreuerwechsel erforderlich, um eine Person zu bestellen, die Zugang zum Betroffenen findet.

Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:

Der Bundesgerichtshof legt den Betreuungsgerichten schwere Aufgaben auf. Letzten Endes bedeutet dies, dass bei einem Betreuungsbedarf mit jedem zur Verfügung stehenden Betreuer versucht werden muss, diesen Bedarf zu decken. Es muss eben versucht werden, einen passenden Betreuer zu finden, der Zugang zu dem Betroffenen erhalten kann. Der Bundesgerichtshof erkennt dabei sehr richtig, dass die fehlende Bereitschaft, vertrauensvoll mit dem Betreuer zusammenzuarbeiten, Ausdruck der Erkrankung eines Betroffenen sein kann. Aber die Entscheidung macht auch deutlich, dass der Mensch und sein Wohlergehen im Mittelpunkt stehen sollte. Die Betreuungsgerichte dürfen es sich eben nicht zu leicht machen, indem ein Betreuungsbedarf vorschnell abgelehnt wird oder eine Unbetreubarkeit angenommen wird.

Quelle: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.1.2019, Az. XII ZB 397/18