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Wann ist die Einwilligung eines Betreuers in eine ärztliche Zwangsbehandlung genehmigungsfähig?

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Betreuer in eine ärztliche Zwangsbehandlung nur einwilligen kann, wenn die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betreuten notwendig ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden; Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.1.2020, Az. XII ZB 381/19

Das ist passiert:

Der Betroffene leidet an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie. In einer Patientenverfügung vom 24.10.2015 hatte er zur Behandlung vorrangig intensive Psychotherapie gewünscht und nur nachrangig Behandlung mit Neuroleptika, deren Dosierung so niedrig wie möglich gehalten werden solle.
Seit Februar 2018 war er wiederholt untergebracht worden und wurde – überwiegend zwangsweise – mit verschiedenen Medikamenten letztlich erfolglos behandelt. Nach Befürwortung durch ein Sachverständigengutachten hat das Amtsgericht die Einwilligung des zuständigen Betreuers

  • in die Durchführung einer Elektrokrampftherapie in Form der elektrischen Auslösung von sechs großen zerebralen Anfällen mithilfe angelegter Elektroden innerhalb von zwei Wochen
  • außerdem die Einleitung einer Narkose durch Anästhesisten und – wenn der Betroffene von den ärztlichen Maßnahmen nicht überzeugt werden kann – schließlich auch
  • die Anwendung von Gewalt (Festhalten, 3- bis 5-Punkt-Fixierung) genehmigt.

Der Betroffene und seine Mutter wollten das nicht hinnehmen und wehrten sich gegen die Entscheidung. Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen und seiner Mutter zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde der Mutter gegen die Entscheidung des Landgerichts hatte vor dem Bundesgerichtshof Erfolg.

Darum geht es:

Es geht darum, ob und unter welchen Umständen die Einwilligung eines gesetzlichen Betreuers in die zwangsweise Durchführung einer ärztlichen Maßnahme zulässig ist.

Die Entscheidung:

§ 1906a BGB regelt die Genehmigung des Betreuungsgerichts bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen. Widerspricht eine Untersuchung, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff dem natürlichen Willen des Betreuten – liegt also eine ärztliche Zwangsmaßnahme vor –, kann der Betreuer in diese nur dann einwilligen, wenn diese zum Wohl des Betreuten notwendig ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden, § 1906a Abs. 1 Nr.1 BGB.

Bei der Entscheidungsfindung musste der Bundesgerichtshof also prüfen, ob die Elektrokrampftherapie als notwendig im Sinne des § 1906a BGB anzusehen ist. Das lehnte der Bundesgerichtshof ab, denn die Notwendigkeit muss objektiv nach beweisbaren Kriterien gegeben sein. Wegen der Schwere des mit einer Zwangsbehandlung verbundenen Grundrechtseingriffs (Eingriff in die persönliche Freiheit, Art. 2 Grundgesetz) muss sich deren Durchführung auf einen breiten medizinisch-wissenschaftlichen Konsens stützen können – sowohl was die Therapie als solche betrifft als auch deren spezielle Durchführungsform im Wege der Zwangsbehandlung gegen den Widerstand des Patienten. Ein derartiger Konsens kann seinen Ausdruck in wissenschaftlichen Stellungnahmen des Beirats der Bundesärztekammer sowie in medizinischen Leitlinien finden.

Eine Behandlungsform, die nicht breitem medizinischen Konsens entspricht, mag dem Patienten in ärztlicher Verantwortung angeboten, darf aber nicht mit staatlicher Gewalt gegen seinen Willen zwangsweise durchgeführt werden. Zwar kann eine Elektrokrampftherapie nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen auch zur Behandlung der Schizophrenie bei vorliegender schwerer depressiver Verstimmung mit Suizidalität indiziert sein. Ein depressives Krankheitsbild haben die sachverständig beratenen Instanzgerichte hier aber nicht festgestellt.

Die Einwilligung des Betreuers in die zwangsweise Durchführung dieser Maßnahme ist daher im vorliegenden Fall nicht genehmigungsfähig.

Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:

Der Bundesgerichtshof hat es sich nicht leicht gemacht und das Vorliegen der komplizierten Voraussetzungen des § 1906a Abs. 1 BGB, die übrigens alle kumulativ gegeben sein müssen, dem Wortlaut und dem Sinngehalt nach geprüft. Zur Entscheidungsfindung wurden die Leitlinien zur Behandlung psychischer Erkrankungen wie Schizophrenie herangezogen. Diese Herangehensweise kann für nachrangige Gerichte vorbildlich sein. Solche „Pedanterie“ im Umgang mit Gesetzen wünscht man sich doch öfter.

Quelle: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.1.2020, Az. XII ZB 381/19, Pressemitteilung vom 17.02.2020