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Wird ein Betreuer für alle Angelegenheiten bestellt, dann muss sich das Gericht sorgfältig mit den Gründen für diesen Umfang auseinandersetzen

Die Bestellung eines Betreuers für alle Angelegenheiten setzt voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung oder Behinderung keine seiner Angelegenheiten selbst besorgen kann. Zudem muss in all diesen Angelegenheiten, die die gegenwärtige Lebenssituation des Betroffenen bestimmen, ein Handlungsbedarf bestehen. Beides muss durch konkret festgestellte Tatsachen näher belegt werden;
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.6.2020, Az. XII ZB 25/20.

Das ist passiert:

Die 1943 geborene Betroffene leidet an einer wahnhaften psychischen Störung. Dabei halluziniert sie, dass sich in ihrer Wohnung fremde Menschen aufhalten wie etwa der frühere Vermieter oder der Hausmeister, obwohl sie ein zusätzliches Innenschloss angebracht hat. Wenn sie ihre Wohnung verlassen hat, fehlten ihr danach Ordner, die dann aber wieder auftauchten. Durch diese schon seit einigen Jahren andauernden Wahnvorstellungen hat sie sich wiederholt in Schwierigkeiten gebracht, da sie die Miete gekürzt hat, bis ihr die Wohnungen gekündigt wurden.

Das Amtsgericht als das zuständige Betreuungsgericht hat eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis „alle Angelegenheiten inkl. Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post“ eingerichtet sowie eine Betreuerin bestellt. Die betroffene Frau beschwerte sich beim Landgericht über den Umfang der eingerichteten Betreuung. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Daraufhin wandte sich die Betroffene an den Bundesgerichtshof und erhob Rechtsbeschwerde.

Darum geht es:

Es geht darum, ob das Amts- und das Landgericht den Umfang der Betreuung korrekt angeordnet haben.

Die Entscheidung:

Der Bundesgerichtshof gab der Betroffenen Recht und hielt die Rechtsbeschwerde für zutreffend. Die bislang getroffenen Feststellungen reichen nicht für eine Anordnung einer Betreuung für alle Angelegenheiten. Die Entscheidung des Landgerichts ist rechtsfehlerhaft, weil sie zum Umfang des Aufgabenkreises keine hinreichende Begründung enthält.

Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuung erforderlich ist. Dieser Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete Feststellung, dass der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Die Erforderlichkeit einer Betreuung darf sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst regeln zu können (Betreuungsbedürftigkeit). Hinzukommen muss ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Wird eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet, dann muss das Betreuungsgericht konkret darlegen, dass der Bedarf in allen Angelegenheiten besteht.

Diesen Anforderungen wird die Entscheidung nicht gerecht. Denn die konkreten Feststellungen des Landgerichts nehmen lediglich Bezug zu dem Aufgabenkreis „Betreuung in Wohnungsangelegenheiten“ und der damit zusammenhängenden Vermögenssorge. Zu den darüber hinaus bestimmten Aufgabenbereichen fehlen aber sowohl in der angefochtenen Entscheidung als auch in dem Beschluss des Amtsgerichts jegliche konkreten Feststellungen für einen entsprechenden Handlungsbedarf.

Deshalb hat der Bundesgerichtshof die Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Dieses muss nun Feststellungen darüber treffen, warum eine Betreuung für alle Angelegenheiten notwendig sein könnte.

Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:

Die Einrichtung einer Betreuung ist stets ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen. Zu Recht weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass die Gerichte den Umfang einer solchen Einschränkung ausführlich und gründlich prüfen müssen. Hier dürfen es sich die Gerichte nicht zu leicht machen. Haben Sie aufgrund einer Entscheidung Zweifel an der gebotenen Gründlichkeit, lohnt es sich, gegen die Entscheidung Rechtsmittel einzulegen.


Quelle: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.6.2020, Az. XII ZB 25/20